Wann ein Paragraph anwendbar ist und wann nicht

20.04.2018

Wann ein Paragraph anwendbar ist und wann nicht

Juristen sind auch nur Mechaniker. Juristen sind zwar die Feinmotoriker, aber genauso wie die Mechaniker stehen sie jeden Morgen auf, um etwas zu lösen. Mechaniker lösen Schrauben und Juristen lösen Rechtsprobleme. Dazu haben beide ihren Werkzeugkasten mit ihren Werkzeugen zur Hand. Der Mechaniker hat seine Schraubenschlüssel und der Jurist hat seine Paragraphen. Jetzt braucht es nur noch ein klein wenig Verstand und logisches Denken, damit das jeweilige Problem gelöst werden kann.

Nehmen wir mal an, ein Mechaniker soll eine Sechskantmutter lösen. Er wird einen Sechskantschlüssel nehmen, ihn ansetzen und die Mutter gegen den Uhrzeigersinn drehen.
Wenn jetzt jemand kommt und dem Mechaniker sagt, dass der Sechskantschlüssel in diesem Fall nicht anwendbar ist, obwohl er eigentlich perfekt passt, dann hätte der Mechaniker ein echtes Problem.

Natürlich wäre niemand so verrückt, die Arbeit z.B. eines Automechanikers komplizierter zu machen, denn das würde die Kosten unbezahlbar machen oder der Mechaniker hätte keinen Bock mehr, unter solchen Bedingungen zu arbeiten, und schon bald würden keine Autos mehr fahren.
Aber es gilt, die Autos in den gewünschten Zustand zu versetzen, denn Autos sollen funktionieren, ohne Ärger zu machen. Dazu sind die Mechaniker da.

Für Juristen wird es erst interessant, wenn es kompliziert wird. Manche ihrer Probleme lassen sich nur lösen, wenn etwas nicht anwendbar ist. Unter Umständen muss sogar ein Gesetz gemacht werden, damit ein anderes Gesetz nicht anwendbar ist. Dabei ist der juristische Werkzeugkasten auf den ersten Blick ordentlich und sauber und gut strukturiert, wie es sich für einen Rechtsstaat gehört, denn etwas anders als einen Rechtsstaat würden die Bürger nicht akzeptieren. Aber manchmal gilt es, die Bürger in den gewünschten Zustand zu versetzen, denn Bürger sollen funktionieren und keinen Ärger machen. Dazu sind die Juristen da.

Ein wesentliches Merkmal eines funktionierenden Rechtsstaates ist die Unterschrift.
Deshalb muss der Bürger im Supermarkt auf dem Bon unterschreiben, selbst wenn er nur eine einzige Dose Cola per EC-Karte gekauft hat. Mit seiner Unterschrift übernimmt er die Verantwortung für die Rechtswirksamkeit des Kaufes der Cola-Dose und kann sich hinterher nicht mehr vor einer Bezahlung drücken.

So geht es zu in der Welt der Grobmotoriker, und der Schluss liegt nahe, dass es bei den Feinmotorikern genauso sein müsste, denn vor dem Gesetz sind alle gleich und es gibt den § 126 BGB, der grob ausgedrückt besagt, dass alles in Schriftform einer Unterschrift bedarf, um rechtswirksam zu werden. Nun habe ich neulich Post erhalten, und seitdem stellt sich mir die Frage, wann ein Paragraph anwendbar ist und wann nicht.

Eigentlich müsste ich jetzt das Schreiben von der Staatsanwaltschaft Rottweil zeigen, aber der Staatsanwalt in Rottweil ist sehr empfindlich, was veröffentlichte Schreiben betrifft, und seine Geduld ist genauso endlich wie meine finanziellen Mittel. Er hat mir auch nur mitgeteilt, dass der § 126 im vorliegenden Fall nicht anwendbar ist und dass er nicht weiter darüber zu debattieren gedenkt.

Anlass für dieses Antwortschreiben des Staatsanwalt war, dass ich ihm seine Anklageschrift wegen verbotener Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen zurück geschickt habe mit der Bitte, diese Anklageschrift zu unterschreiben, damit sie rechtswirksam wird, denn ich würde schon gerne rechtsverbindlich angeklagt werden. Leider unterlag ich der irrigen Annahme, dass ein Paragraph, der an der Supermarktkasse anwendbar ist, auch im Büro der Staatsanwaltschaft anwendbar sein müsste.

Immerhin bin ich jetzt im Besitz eines rechtswirksam unterschriebenen Schreibens, das mir mitteilt, dass Schreiben nicht immer rechtswirksam unterschrieben sein müssen. Bei der Forscherin im folgenden Fall ist es genau umgekehrt. Sie ist im Besitz eines nicht unterschriebenen Schreibens, das ihr mitteilt, dass Schreiben immer unterschrieben sein müssen. Es ist halt mal so und mal so, wie es eben gerade gebraucht wird …

 

Als Grobmotoriker bin ich mit logischem Denken belastet, und mir ist sofort aufgefallen, welches Universalwerkzeug da auf seinen Einsatz wartet, und ich habe es aus dem Werkzeugkasten des Meisters geholt und einfach mal an der Schraube gedreht. Unterschrieben habe ich nicht, damit man mir eines Tages nicht rechtswirksam einen Strick daraus drehen kann.
Ich finde, den Versuch war es wert :

Schon die Bezeichnung § 353 d Nr.3 legt die Vermutung nahe, dass es sich um eine Nebensächlichkeit handelt. Der Eindruck täuscht nicht, denn selbst der Polizist musste erst mal nachlesen, worüber er den Beschuldigten eigentlich befragen sollte. Ein Gesetzesverstoss gegen Buchstabe „d“ und dann noch Nr.3 kann kein Verbrechen sein, vor dem die Welt in Angst und Entsetzen erschaudert. Aber darum geht es nicht. Es geht um funktionieren und Ärger machen …

Im zweiten Teil seiner Antwort beschreibt der Herr Staatsanwalt die Theorie des Rechtsstaats: Jedem, der sich ungerecht oder rechtswidrig behandelt fühlt, ist es unbenommen, Strafanzeige zu erstatten. Zu dem Zeitpunkt wusste er noch nicht, dass ich bereits praktische Erfahrung damit habe, sonst hätte er sich seine Handlungsempfehlungen wahrscheinlich gespart. Die Theorie lautet :  Alles ist dir unbenommen, alles und jeden darfst du anzeigen, alles darfst du begehren im Land der Juristen, aber in der Praxis hängt alles an der Frage, – man ahnt es bereits –  ob ein Paragraph anwendbar ist oder nicht :

Wenn ein Amtsträger eine gerichtsanhängige Forderung seiner Stadt noch vor einem Gerichtsurteil durch Amtshilfe einer anderen Stadt zwangsvollstrecken lassen will, dann handelt es sich um Rechtsbeugung, aber der Staatsanwalt musste das Emittlungsverfahren einstellen, denn  – ganz klarer Fall –  der Paragraph „Rechtsbeugung“ war in diesem Fall nicht anwendbar.

Es kann zwar so gewesen sein, dass auch Netz und Sulzmann objektive Rechtsregeln gebrochen haben, aber es hat sich noch im Rahmen des Vertretbaren bewegt. Man muss auch bedenken, dass etwas da sein kann, aber nicht zu erkennen ist, was am Nebel, an Scheuklappen, einer rosaroten Brille, am Grauen Star oder am bewussten Wegsehen liegen kann.

Bleibt die Frage zu klären, wann ein Paragraph anwendbar ist und wann nicht.
Hier ist meine persönliche Theorie :

In diesem Land hat eine Kaste aus Politik, Verwaltung und Justiz das Sagen. Es wird einfach gesagt, wann ein Paragraph anwendbar ist und wann nicht. Die Übersetzung von „es wird gesagt“ ins Latein lautet :      dictatur

Die Juristen sind die willfährigen Gehilfen von Politik und Verwaltung. Wie damals beim Adolf.
Sie wissen, dass alles ganz schnell anders werden kann, durch einen Wechsel von innen oder aussen. Vielleicht gilt hier eines Tages zur Abwechslung mal russisches oder chinesisches Besatzungsrecht anstatt dem Besatzungsrecht der Alliierten. Deshalb unterschreiben sie nix, was jemandem schadet, damit man sie später einmal nicht dafür zur Rechenschaft ziehen kann. Selbst im russischen und chinesischen Recht ist eine Unterschrift zwingend erforderlich.

Staatsanwälte sind weisungsgebunden. Deshalb nützt im Strafrecht der beste und gerechteste Richter nix, wenn ein Staatsanwalt keine Anklage erhebt, und deshalb ist es möglich, dass die Veröffentlichung einer Urkunde bestraft wird, bei der Fälschung einer Urkunde dagegen die Ermittlungen eingestellt werden.

Ich glaube schon, dass die deutsche Justiz einigermaßen gerecht urteilt, wenn sich die Untertanen untereinander zoffen. Aber wenn Angehörige der herrschenden Kaste mit im Spiel sind, ergeben sich erstaunliche Spielräume zur Auslegung und Interpretation, so wie in diesem prominenten Fall :

Ich würde mal sagen :

Der § 81 war in diesem Fall nicht anwendbar …

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